Hellinger


Claudia Goldner

Bert Hellingers Größenwahn

Zu den absoluten Rennern der alternativen Psychoszene zählt seit geraumer Zeit die ´Familienaufstellung´ Bert Hellingers. Ehedem Priester einer katholischen Ordensgemeinschaft in Südafrika, bereist der 1925 geborene Hellinger seit Beginn der 1990er die Lande, um in Großveranstaltungen von nicht selten mehreren hundert Teilnehmern seine selbstentwickelte Variante systemischer Therapie vorzustellen.

Hellingers Ansatz ist simpel. Er geht davon aus, daß es im Innenverhältnis jeder Familie eine ´Ursprungsordnung´ gebe, in die jedes Mitglied sich widerspruchslos einzufügen habe: Die Frau sei dem Manne untergeordnet, das zweitgeborene Kind dem erstgeborenen. Jede Störung dieser Ordnung führe zu Krankheit. Desgleichen eine Störung der kindlichen ´Hinbewegung´ zu den Eltern: Kinder wollen, laut Hellinger, ihre Eltern bedingungslos lieben, gleichgültig, was auch passiert ist. Ziel der Therapie sei es, die natürliche ´Ordnung der Liebe´ wiederherzustellen durch gebührende Ehrerweisung dem jeweils Ranghöheren gegenüber. Sei dies geschehen, lösten sich jedwede Konflikte und Krankheiten auf.

Hellinger arbeitet mit Einzelnen innerhalb von Gruppen. Der jeweils ´arbeitende´ Klient wird aufgefordert, unter Zuhilfenahme anderer Teilnehmer, die stellvertretend die Position von Familienmitgliedern einnehmen, seine ´Herkunftsfamilie´ aufzustellen. In einer Art räumlicher Metapher soll sichtbar werden, wer innerhalb der Familie wem wie nahe stand. Anders als in der etablierten Familientherapie, die seit jeher derlei Techniken einsetzt, erhält der Klient bei Hellinger keine Möglichkeit, seine Gedanken und Gefühle weiter zu erschließen; vielmehr agiert ausschließlich Hellinger: er verändert die Position der einzelnen ´Familienmitglieder´ beliebig zu einer von ihm so bestimmten ´Lösungskonstellation´ und konfrontiert den Klienten mit apodiktisch vorgetragenen Interpretationen und Anweisungen. Diesem bleibt lediglich die Wahl, diese anzunehmen oder nicht. Eine weitere Erörterung oder therapeutische Bearbeitung findet nicht statt. Im Gegenteil: etwaiges Nach- oder Hinterfragen wird von Hellinger kategorisch unterdrückt. Ein Inzest-Opfer wird etwa angewiesen, sich als ´kleines Mädchen´ vor seine ´Mutter´ zu knien und zu sagen: ´Mama, für Dich tue ich es gerne!´ Ende der Vorstellung.

Auch im Falle einer jungen Frau und vierfachen Mutter, die er anläßlich eines Massenseminars in Leipzig im Oktober 1997 auf die Bühne holte, wußte er nichts von ihrer Familiengeschichte, außer daß sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Hellinger attackierte die Frau auf massivste Weise: Auf ihren Mann zeigend verkündete er: ´Dort sitzt die Liebe´, auf sie zeigend: ´Und hier sitzt das kalte Herz´; danach ins Publikum gewandt: ´Die Kinder sind bei der Frau nicht sicher, die gehören zum Mann´. Gleichwohl diese ungeheuerlichen Invektiven gänzlich aus der Luft gegriffen waren, trafen sie doch durch die selbstherrliche Apodiktik, in der Hellinger auftritt, wie Giftpfeile in die Seele der jungen Frau. Wortlos verließ sie die Veranstaltung, kritzelte ein paar Worte des Abschieds auf einen Notizblock - und nahm sich das Leben.

Bevor die Frau sich das Leben nahm, verabschiedete sie sich schriftlich von ihren Lieben. Ganz in Hellingerschem Sprachduktus schreibt sie: ´Vielleicht gibt es Menschen, die soviel Schuld auf sich laden, daß sie kein Recht mehr haben, hier zu bleiben. Und wenn es für meine Kinder die Ordnung herstellt, will ich meinen Teil dazu tun, auch wenn es nicht das ist, was ich mir wünsche´. Von suizidaler Gefährdung vor dem Hellinger-Seminar kann keine Rede sein: Die junge Ärztin hatte für wenige Tage danach einen Umzug geplant und vorbereitet und hatte sich sogar schon für mehrere medizinische Weiterbildungsmaßnahmen 1998 angemeldet.

Als noch weitaus gefährlicher als Hellinger selbst sind einige der zahllosen ´Hellingerianer´ anzusehen, die teils ohne irgendwelche Qualifikation oder Befugnis ´Familienaufstellen nach Hellinger´ praktizieren.

aus: Lehrerinnen- und Lehrerkalender 1999/2000. Anabas-Verlag, Frankfurt/Main 

weitere Hellinger-kritische Texte


Aktuelles zum Thema Hellinger+Logopädie

                    
Zur Arbeitstagung ´Familienaufstellungen bei Sprach- und Stimmstörungen´ vom 1.-2.2.2003

In Ausgabe Mai 2001 der Fachzeitschrift ForumLogopädie erschien ein Beitrag der Duisburger Familienaufstellerin Marlies Warncke (zusammen mit einer Martha Fischbach) zum Thema
´Familienaufstellungen in einer logopädischen Praxis - ein Erfahrungsbericht´ [3(15),S.15ff.]. Dieser Beitrag zeichnete ein von keinerlei Wissenschaftlichkeit und/oder Kritik gestreiftes Bild des Hellingerschen Ansatzes, der als besonders vielversprechend für die logopädische Praxis dargestellt wurde. Auch redaktionelle Einwände gegen den Abdruck des Werbeartikels gab es offenbar nicht.

In einem LeserInnenkommentar [4(15), Juli 2001, S.52f.] wies ich hin auf die auch und gerade in der Logopädie vielfach anzutreffenden ´psychotherapeutisch gänzlich unqualifizierten Möchtegerns, die in Bereichen herumdilettieren, von denen sie nichts verstehen´. Und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Warncke/Fischbach: ´Nicht nur sie haben offenbar nicht die geringste Ahnung, was sie da treiben, auch der von ihnen als Bezugsgröße angeführte Bert Hellinger verfügt weder über klinische Qualifikation noch Befugnis zu psychotherapeutischer Arbeit. Bei seinem Verfahren des ´Familienstellens´, auch wenn dieses seit Jahren zu den absoluten Rennern der alternativen Psychoszene zählt, handelt es sich nicht um Psychotherapie, zumindest nicht um seriöse. Vielmehr handelt es sich um ein extrem autoritäres, von keinerlei Wissenschaftlichkeit angeflogenes Glaubenssystem, das mit tragfähiger Familientherapie, etwa nach Virginia Satir, nicht das Geringste gemein hat. (...)

Die gänzlich unbrauchbaren ´Erfolgsberichte´ von Fischbach/Warncke (´Die Arbeit im Seminar zeigt viele Heilungserfolge auf. [...] Frau W. erzählte, dass es der Tochter gut ginge´ [sic!]) spiegeln nicht nur die gleichermaßen banalen wie hybriden Größenphantasien der Hellingerianer wider, sondern auch deren magisch-esoterisches Selbstverständnis, mit dem sie jede Theorie ersetzen (´Was jetzt hier [...] geschieht, ist ein unfassbares und erstaunliches Phänomen...´).

Sofern LogopädInnen auch psychotherapeutisch tätig sein wollen - und ich begrüße jede Erweiterung der Qualifikation -, müssen sie eine klinische Ausbildung in einem seriösen Verfahren durchlaufen. Irgendein Schnellsiedekurs oder der Besuch einiger Workshops reicht da nicht hin, am wenigsten in irgendeinem Pseudoheilverfahren wie der ´Familienaufstellung nach Hellinger´.

Unkritische Werbeartikel für derlei unhaltbare bzw. längst widerlegte Verfahren (siehe auch den Beitrag über Audiopsychophonologie in Heft 6/00) konterkarieren das Bestreben vieler LogopädInnen, ihrer Arbeit ein seriöses Erscheinungsbild in der (Fach-)Öffentlichkeit zu verschaffen. Sie sollten in ForumLogopädie keinen Platz finden.´


Weitere KollegInnen brachten energischen Protest bei der Redaktion von ForumLogopädie zu Wort. In einem ebenfalls veröffentlichten Leserinnenbrief [4(15),S.54] der Münchner Logopädin Christine Lauria hieß es: "Nach den angeblich so phantastischen Erfolgen (...) der Familienaufstellung frage ich mich, wie lange wohl noch LogopädInnen gebraucht werden, denn wäre es nicht sinnvoller, Patienten aller logopädischen Störungsbilder (...) ein Wochenende lang an einer Familienaufstellung teilnehmen zu lassen ... danach dürften ja dann wohl alle Störungen oder Auffälligkeiten beseitigt sein - oder etwa nicht...?" Frau Lauria beendete der fortgesetzt unprofessionellen Beiträge in ForumLogopädie wegen gar ihre Mitgliedschaft im dbl.

Ungeachtet aller fachlichen Kritik maßte Frau Warncke sich an, über ihr Privatinstitut
Systemische Seminare Duisburg eine eigene Arbeitstagung ´Familienaufstellungen bei Sprach- und Stimmstörungen´ zu organisieren (1.-2.2.2003/150 €uro), mit der Ankündigung, Bert Hellinger höchstpersönlich werde mit Betroffenen, d.h. mit realen Patienten und Patientinnen, arbeiten.

Der Umstand, daß Hellinger, wie oben angeführt, keinerlei logopädische oder sprachtherapeutische Befähigung vorzuweisen hat - Tatsache ist: er hat auch ansonsten keine abgeschlossene therapeutische Qualifikation und auch keine Befugnis zur Ausübung der Heilkunde -, fiel völlig unter den Tisch; desgleichen, daß offenbar auch Frau Warncke selbst, ausweislich ihrer website, weder über eine (sprachtherapeutisch-)fachliche Qualifikation noch eine entsprechende Befugnis verfügt.



Ein im Vorfeld der Tagung von der Staatsanwaltschaft Duisburg eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen Marlies Warncke und ihr Institut wurde gleichwohl eingestellt: Ein Verstoß gegen das HeilPrG scheide aus, so die Einstellungsvefügung, "da zwar Arbeits- und/oder Fachtagungen in Aussicht gestellt werden, nicht jedoch die konkrete Ausübung von Heilkunde an Patienten" (113Js22/03 vom 21.02.2003). Wie man bei der Staatsanwaltschaft Duisburg zu solcher Bewertung der Sach- und Rechtslage kam, bleibt unerschließlich. In den Ausschreibungen des Warncke-Instituts heißt es in Hinblick auf die o.b. Fachtagung: "Auf dieser Tagung wird Bert Hellinger mit Menschen, die an Sprach- und Stimmstörungen leiden bzw. mit Eltern von sprach- und stimmgestörten Kindern arbeiten. Es können sich Betroffene mit allen Formen von Sprach- und Stimmstörungen für eine Arbeit mit Bert Hellinger anmelden. Wir sind ebenfalls sehr interessiert an der Arbeit mit Patienten mit chronischen Verläufen". In der Ausschreibung für ein weiteres Seminar Anfang November 2003 heißt es: "Durch die 'Systemischen Familienaufstellungen' können unbewußte, prägende Verbindungen mit belastenden und krankmachenden Auswirkungen aufgedeckt werden und Heilungen im seelisch-körperlichen und kommunikativen Bereich einsetzen, wie unsere bisherigen Erfahrungen damit gezeigt haben. So hat sich bei Patienten mit Stimmproblemen und bei Kindern mit Stottererproblematik eine deutliche Besserung nach der Aufstellungsarbeit entwickelt. Das Seminar ist gedacht für Menschen mit Sprach- und Stimmstörungen und für in diesem Bereich tätige Therapeuten." Offenkundig wollte die Staatsanwaltschaft Duisburg das Ermittlungsverfahren nicht fortsetzen. Selbst die über das Institut veranstalteten sogenannten "Krankheits-/Symptomaufstellungen", die, so Warncke, geeignet seien "für alle chronischen Krankheitsverläufe und Krankheiten des psychosomatischen Formenkreises: Migräne, Asthma, Rheuma, Krebs, Magersucht, Bulimie, Adipositas, chronische Magen-Darmprobleme, Herzkrankheiten, Diabetes u.a.", fielen der Staasanwaltschaft nicht ins Auge. Zumindest kündigte das Gesundheitsamt Duisburg an, "die weiteren Aktivitäten des Instituts beobachten zu wollen". 

Zu dem sehr lesenswerten Beitrag von Thorsten Fuchshuber in konkret 9/03 "Dein Volk ist alles" schrieb Claudia Goldner folgenden Leserbrief:

Interessant der Umstand, daß Anton "Suitbert" Hellinger seit Jahren, gar Jahrzehnten, als "Psychotherapeut" zugange ist, ohne im Besitze der erforderlichen Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde zu sein. Ein Priester bzw. Theologe ist nicht per se befugt zu therapeutischer Arbeit, von klinischer Qualifikation ganz zu schweigen. Und kein Staatsanwalt hat sich bislang bemüßigt gesehen, dagegen einzuschreiten. Woran das wohl liegen mag?


 Buchneuerscheinung

 
''Niemand kann seinem Schicksal entgehen...''
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
165 Seiten, kartoniert, Euro 11.00,  ISBN 3-932710-82-7, Alibri-Verlag (
www.alibri.de) Aschaffenburg, 2004

Bert Hellinger gilt mit seiner besonderen Form der "systemischen Familienaufstellung" als absoluter "Superstar" der Therapieszene – jedenfalls sofern die Anzahl seiner Veröffentlichungen sowie die Zahl der nach seiner Methode arbeitenden "TherapeutInnen" zugrunde gelegt werden. Für die PatientInnen birgt die Behandlung "nach Hellinger" jedoch unwägbare Risiken: der ehemalige Missionar hat (ebenso wie die meisten seiner praktizierenden Anhänger) keine solide therapeutische Ausbildung und verstößt gegen einfachste Regeln der Psychotherapie. Stattdessen propagiert er ein erzreaktionäres Familienbild, in dem die Frau dem Mann untergeordnet ist, Konflikte nicht ausgesprochen werden dürfen und die eigene Situation als Schicksal "angenommen" werden muß. Selbst sexueller Mißbrauch und Vergewaltigung werden auf diese Weise als "Schicksalsereignis" dargestellt, für das der Täter letztlich nicht selbst verantwortlich sei. Seine "Erkenntnisse", zu denen er nicht aufgrund wissenschaftlichen Studiums gelangt, sondern durch "höhere Eingebungen", wendet Hellinger nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen an. Auch die Geschichte interpretiert er nach diesem Strickmuster neu. Insbesondere dienen seine "Erkenntnisse" zur Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Der Band stellt die zentralen Kritikpunkte an Hellingers Menschen- und Geschichtsbild kompakt dar, unterzieht seine Vorstellung von systemischer Therapie einer kritischen Betrachtung und wirft einen Blick auf das Netzwerk seiner Anhänger. Mit Beiträgen von Claudia Barth, Colin Goldner, Heiner Keupp, Sabine Pankofer, Klaus Weber u.a. 

Inhaltsverzeichnis:

AStA der Geschwister-Scholl-Universität: Vorwort  / Radio Lora / Colin Goldner: Bert Hellinger Guru der Psychoszene / Heiner Keupp: Von der (Ohn-)Macht der Helfer. Was Hellinger seine Anhängerschaft sichert  / Sabine Pankofer: Aufstellungen nach Hellinger in der Ausbildung von SozialarbeiterInnen. Eine kritische Stellungnahme aus Sicht aktueller sozialarbeitswissenschaftlicher Ansätze  / Claudia Barth: Die wahnsinnig systematische Ordnung eines braunen Predigers. Über die politischen Dimensionen Bert Hellingers  / Klaus Weber: Zur Seelen-Ordnung des Franz Ruppert  / Dominik Lindner: Dringend notwendige Stellungnahmen zu Hellinger&Co. IndyNews-Bericht zur Veranstaltung an der Universität München  / Hans-Detlev von Kirchbach / Elmar Klevers: Familienaufstellung nach Hellinger im Bildungsprogramm der GEW  / Nico Frühwind: Das Online-Diskussionsforum des Bert Hellinger Instituts. Ein Lehrstück  / Claudia Goldner: "Inzwischen hat sich das Blatt total gewendet..." Das Familien- und Organisationsaufstellen nach Hellinger steht unter massiver Kritik  (Textauszug siehe unten)  / Colin Goldner: Wenn die See rauh wird, wirf’ den Käpt’n über Bord. Zu den Absetzbewegungen von der Person Bert Hellinger  
 



Claudia Goldner

"Inzwischen hat sich das Blatt total gewendet..."

Das Familien- und Organisationsaufstellen nach Hellinger steht unter massiver Kritik 

Eigentlich ist es ja kaum zu glauben, dass das "Familien- und Organisationsaufstellen nach Bert Hellinger" immer noch existiert. Nach all dem, was im Verlaufe des Jahres 2003 über die Szene der Hellingerianer hereingebrochen ist - dutzende kritischer Presseberichte, mehrere kritische Beiträge im Fernsehen und nicht zuletzt der von Colin Goldner herausgegebene Sammelband "Der Wille zum Schicksal", mit dem die Flutwelle kritischer Auseinandersetzung ihren Anfang nahm - wäre zurecht anzunehmen gewesen, dass diese sich längst in Luft aufgelöst hätte.

Hatten Hellinger und die Seinen sich in den zurückliegenden zehn Jahren in einem von Kritik praktisch unangetasteten Freiraum entfalten können - die kritischen Stimmen, die da, verteilt über die Jahre, immer wieder zu hören waren, (1) fielen, trotz teils schärfster Formulierung und letztlich auch stattlicher Anzahl, überhaupt nicht ins Gewicht -, kam es nun knüppeldick: Im Goldner et al.-Buch wurde der Hellinger-Ansatz von neunzehn durchwegs hochkarätigen AutorInnen aus jedem nur denkbaren Blickwinkel unter die Lupe genommen, (2) mit für die Hellingerianer verheerendem Ergebnis. Nach der Lektüre der einzelnen Beiträge mußte auch für den letzten Zweifler feststehen: Das "Familien- und Organisationsaufstellen nach Bert Hellinger" gehört auf die Müllhalde der Psychotherapiegeschichte.

Aber nein, trotz aller Kritik und damit einhergehender Umsatzeinbrüche scheint im Hellinger-inspirierten Geschäft mit der Seele immer noch etwas zu gehen. Jedenfalls hat die massive Kritik, die von verschiedenster Warte gegen den Hellingerismus vorgebracht wurde, zu keiner ersichtlichen Selbstkritik oder zu irgendwelchem Wandel in Theorie oder Praxis geführt. Ungerührt werden dieselben Positionen verfochten und Phrasen gedroschen wie je: in keiner der auch im Jahr 2003 wieder zahlreich vorgelegten Publikationen der Szene - inzwischen gibt es mehr als 150 deutschsprachige Bücher, CDs und Videos von und mit und über Hellinger und seinen Ansatz - ist auch nur der Anflug einer Auseinandersetzung mit den bei Goldner et al. oder bei anderen kritischen Autoren vorgetragenen Argumente oder Kritikpunkten zu entdecken. Die Unmenge an Neuerscheinungen mehr oder weniger prominenter Hellinger-SchülerInnen - und vor allem Hellingers selbst - brachten nicht das geringste Neue, es handelte sich durch die Bank um Aufgüsse längst bekannter und x-fach vorgetragener Gedanken, garniert mit den szeneüblich-endlosen Fallbeispielen nebst dazugehöriger Aufstellungsdiagramme. Offenbar finden diese Bücher gerade deshalb immer noch Absatz, weil das Glaubensgebäude Hellingers so massiv in der Kritik steht: je mehr einschlägige Druckwerke man im Regal stehen hat, desto länger kann man sich vorgaukeln, dass das Ganze doch irgendwelchen Sinn macht. [...] 

Auch kritische, teils vernichtende Berichte in Fernsehen und Hörfunk bewirkten keinerlei erkenntliche Reaktion seitens der o.a. hellingerschen Wortführer, die ansonsten zu allem und jedem ihren Kommentar abgegeben hatten. Das WDR-Magazin frauTV etwa ging, bezugnehmend auf das Goldner et al.-Buch, der Frage nach, "warum so viele Frauen sich von dieser Form der Therapie angesprochen fühlen" und was Bert Hellingers Methode von seriösen therapeutischen Methoden unterscheidet; (40) gefolgt von einem Beitrag der Deutschen Welle, in dem es über das Goldner-Buch hieß: "Seriöse Therapeuten haben zu Hellingers rückwärtsgewandter Weltanschauung lange geschwiegen. Vielleicht, weil sie hofften, der Boom gehe vorüber. Nun melden sich erstmals namhafte Autoren zu Wort, die die Arbeit des ehemaligen katholischen Priesters kritisch beleuchten". (41) Auf SWR2 gab es einen kritischen Beitrag über "Methoden und Grenzen der Familienaufstellung", in dem Hellingers Ansatz scharf vom seriösen familientherapeutischen Ansatz Virginia Satirs abgegrenzt wurde: "Vom Aufbau her ist Hellingers Methode stark reglementiert; sein Vokabular erinnert an den katholischen Katechismusunterricht der fünfziger Jahre. Seine Terminologie betont die starren, hierarchischen Strukturen einer traditionellen Familienordnung". Sein autoritäres und rigides Vorgehen sei "für den demokratischen Ansatz von Virginia Satir ein Widerspruch". (42) Kurze Zeit darauf strahlte der WDR eine Dokumentation von Martin Buchholz aus, gedreht mithin auf dem Weltkongreß der Hellingerianer in Würzburg vom 30.4. bis 2.5.2003, in der Hellinger sich komplett selbst desavouiert mit Sprüchen wie: "Ein Therapeut kann einem Klienten niemals schaden. Wie sollte er das machen? Außer, der andere will das haben". (43) [...]

Therapeutische Fachverbände wie etwa die Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) grenzten sich mit Vehemenz von dem nur "scheinbar harmlos-alberne(n) Spiel" des Familienstellens ab: "Der Heideggerianer Bert Hellinger neigt dazu, Opfer zu beschuldigen; er mag Frauen nicht besonders; er plädiert dafür, die Verbrechen der Nazis zum Wohle des Großen und Ganzen zu vergessen; er liebt Hierarchien, die er für naturwüchsig hält". (46) Auch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) fand deutliche Worte: "Die reale Praxis der Familienaufstellungen (nach Hellinger, CKG) ist zu einem nicht geringen Teil als kritisch, ethisch nicht vertretbar und gefährlich für die Betroffenen zu beurteilen". (47) Die Systemische Gesellschaft, ebenfalls ein deutscher familientherapeutischer Fachverband, wurde noch deutlicher: Hellinger verunsichere seine Klienten, beeinflusse sie suggestiv, verängstige sie und treibe sie in "einseitige Abhängigkeit". (48) Auch Schweizer Fachverbände äußerten sich sehr skeptisch. Markus Theunert, Generalsekretär der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP), bemängelte vor allem das Fehlen einer "wissenschaftlichen Fundierung" des Aufstellverfahrens nach Hellinger. Und Raimund Dörr, Präsident des Schweizerischen Psychotherapeuten-Verbands (SPV), meinte: "Das hat nichts mit Psychotherapie zu tun, das ist Ideologie". (49) Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und systemische Studien (ÖAS) hieß das Goldner et al.-Buch "mehr als willkommen": Dessen Lektüre mache es leichter, zu verstehen, dass nicht nur psychotherapeutische Laien sondern auch Experten "in den Bann dieser als längst überholt geglaubten Wirklichkeitskonstruktionen" gerieten. Gleichwohl mache es betroffen, dass systemische Therapie vielfach mit diesen "reaktionär-normativen, patriarchalischen und autoritätsgläubigen Ideen" in Verbindung gebracht würde. (50) Die Internationale Erich Fromm-Gesellschaft, ein hochreputierlicher Fachverband humanistisch ausgerichteter PsychotherapeutInnen, schrieb, der Goldner-Band schaffe "die nötige Transparenz und Distanz, um nicht nur die theoretische Unzulänglichkeit und therapeutische Fragwürdigkeit von Hellingers Vorgehen herauszuarbeiten, sondern auch die autoritär-faschistoiden Züge seines Welt- und Menschenbildes zu entlarven." Und in schärfster Abgrenzung, der sich auch das Internationale Ruth Cohn-Institute anschloss: "Zwischen Hellinger und der Humanistischen Psychologie gibt es keinen Kompromiss". (51)

Nicht einmal der Umstand indes, dass renommierte psychotherapeutische Fachgesellschaften sich zunehmend gegen den hellingerschen Ansatz wandten, führte zu einer erkennbaren Reaktion seitens des Hellinger-Instituts, was im hellinger.com-Forum von eifrigen Fußvolk-Anhängern überkompensativ verklärt wurde. Der oben bereits erwähnte Kieler Familienaufsteller Christoph Schlüter etwa schrieb: "Ich finde es gut und professionell, dass hier keiner der Genannten (= führende Figuren des Hellinger-Instituts, CKG) auf das Spiel eingestiegen ist. Was hier läuft ist ganz offensichtlich ein 'Opfer-Retter-Verfolger'-Spiel und da ist es am elegantesten, gar nicht darauf einzusteigen. Verunglimpfung und Unterstellung passiert von der anderen Seite ohnehin. Und tatsächlich: wenn man sich nur im Ansatz auf eine Entgegnung einlässt, führt das schon zu mehr 'Kritik'. Mithin ist es die derzeit beste Lösung, die Kritiker und ihre vor allem unsachliche Kritik einfach so stehen zu lassen". (52)

Erst in der Dezember-2003-Ausgabe des Hellinger-Organs Praxis der Systemaufstellung fand ein erster Anflug von Selbstkritik statt - ob vor dem Hintergrund der Podiumsdiskussion an der Universität München Anfang November 2003 oder aus eigenem Antrieb, kann dahingestellt bleiben -, in Gestalt eines Artikels von Familienaufsteller Reinhard Bauß, der die programmatische Frage aufwarf: "Ist Aufstellungsarbeit eine 'Heilige Kuh', oder darf man sie auch kritisieren?" Die Antwort ging ihm leicht von der Hand: Selbstverständlich darf, ja soll man. Allerdings ging Bauß nun keineswegs, wie man hätte erwarten können, auf die bei Goldner und anderen AutorInnen vorgetragenenen - und seit über einem dreiviertel Jahr einer Beantwortung harrenden - Argumente gegen die Methode des Familien- und Organisationsaufstellens nach Hellinger und das dahinterstehende Weltbild ein, vielmehr wurde, neben der Kritik an ein paar formalen Punkten, ausschließlich und in unerwarteter Vehemenz Bert Hellinger ad personam angegangen, mit dessen höchst kritisierenswertem Vorgehen die Aufstellerszene nicht weiter ineinsgesetzt werden dürfe: "Es ist schon merkwürdig: Aufstellungsarbeit wurde in der Öffentlichkeit anfangs mit großem Interesse aufgenommen. Fast euphorisch berichteten Seminarteilnehmer über tief greifende Erfahrungen. Inzwischen hat sich das Blatt total gewendet. Die Medien (...) berichten sehr kritisch über die hellingersche Aufstellungspraxis. (...) Die Kritik richtet sich vor allem gegen Bert Hellinger selbst und sein autoritäres Auftreten, seine dogmatischen Deutungen und demütigenden Interventionen gegenüber Protagonisten/Klienten. Das wird oft mit Aufstellungsarbeit insgesamt gleichgesetzt, als ob alle Aufsteller den 'Hellinger-Stil' praktizieren würden. So infrage gestellt zu werden wirkt in Aufstellerkreisen verunsichernd, wird aber nicht unbedingt als Anlass zur Selbstreflexion genutzt. (...) Diese mangelnde Kritikfähigkeit diskreditiert das Bild der Aufstellungsarbeit in der Öffentlichkeit noch weiter, und sie isoliert uns Aufsteller auch von anderen psychotherapeutischen Disziplinen". Hellingers Stil, so Bauß in szeneuntypischer Direktheit, verletze seine "therapeutischen Wertmaßstäbe". Denn: "Bei aller Selbstverantwortung der Teilnehmer handelt es sich immer noch um Menschen, die in einer Problemsituation Rat suchen. Es darf nichts geschehen, was sie schädigt oder verletzt. Auch wenn aus inhaltlichen Gründen eine Konfrontation angebracht ist, rechtfertigt dies nicht einen rechthaberischen oder für Ratsuchende demütigenden Arbeitsstil. Demut kann nicht durch Demütigung erzwungen werden". [...]

Auch wenn die Kritik an Hellinger aus den eigenen Reihen viel zu spät kommt und in ihrer Zentrierung auf Hellinger als Person die viel entscheidendere Kritik an dem von ihm begründeten Verfahren völlig außen vor läßt - es erinnert das Ganze ein wenig an den unsäglichen Zirkus um Ronald Schill, in dem subalterne Parteichargen die längst verlorenen Pfründe ihres Rechtsaußensplittervereins zu retten suchten, indem sie dessen Begründer absägten -, kann doch konstatiert werden: Ein erster Schritt ist getan in einem Prozeß, an dessen Ende das Familien- und Organisationsaufstellens nach Hellinger da landen wird, wo es von Anfang an hingehörte: auf dem Müllhaufen der Psychotherapiegeschichte. 

Fußnoten und Literaturangaben nur im Buch 

 

''Niemand kann seinem Schicksal entgehen...''
  
  
  
  
  
  
  
  
Anfang 2005 erschien das Buch in aktualisierter und wesentlich erweiterter 3. Neuauflage [ISBN 3-86569-007-6, 250 Seiten, 15 EUR]

 

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Eine Vielzahl weiterführender Texte zur Kritik an Hellinger findet sich auf der website des Forum Kritische Psychologie www.fkpsych.de/pub_hellinger.html

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Kritisches zu Hellinger findet sich auch auf: www.agpf.de/hellinger.html


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

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